Elisabeth Janstein

In einer Gewitternacht

Gewitternacht – auf dem Firmament
Ziehn Löwen, die sich laut und knurrend jagen.
O Sehnsucht, die in steilen Flammen brennt,
Wie soll ich diese Glut zu Ende tragen?

Aus jedem Stein, aus Strauch und Blume quillt
Dein Angesicht – will ich das Auge schließen,
So trägt ein Purpurmeer das gleiche Bild
An mir vorbei, vertausendfacht im Fließen.

Dein Wille griff – der Bogen war gespannt,
Daß sich das Holz verbog, die Sehne klagte –
Und immer noch bog frevelnd deine Hand
Im Spiel, was keine sonst im Kampfe wagte –

Bis sich der Pfeil mit einem Mal besann
Und abstieß mit des Vogelflügels Schwirren.
Und eines Wunden Klage hörte man
Aus weiter Ferne durch die Kronen irren.

So leuchte, Blitz, o knattere nieder, Sturm!
Das Segel ist geschwellt zu wilden Fahrten.
Die Seele, stumm und einsam wie ein Turm,
Dem sich im Graun der Nächte Wunder offenbarten,

Hält ihre Ewigkeit zu Mond und Stern.
Von Wolken eingehüllt, gewiegt von Winden,
Wird ihr Erlittenes seltsam sanft und fern,
Wie gütige Greise uns das Alter künden.

Du Schmerzensbild, umweintes Traumgesicht,
Das mich durch Durst und fahle Wüsten hetzte,
Ich bin es noch – und bin es wieder nicht,
Der sich in Gram und Fieberwind zerfetzte.

Noch brennt der Feuerküsse Bacchanal
Auf meinen Lippen, wund von solchen Küssen –
Und doch fließt alles Leid und alle Qual
Wie Frühlingsschnee vorbei auf dunklen Flüssen.

(1921)

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